"When I'm dead and gone... "

 

Wenn du 16 bist, 18 oder 20, dann denkst du nicht an den Tod. Du lebst und fühlst dich unsterblich. Alte Menschen sterben, aber du fängst doch gerade erst an.

Wir fingen 1967 oder 1968 alle gerade erst. Aber "we were a motley crew" - aus unterschiedlichen Elternhäusern, mit unterschiedlichen Werdegängen und unterschiedlichen Träumen. Wir wollten die Welt ändern, und wenn das schon nicht ging, dann wollten wir sie jedenfalls nicht mehr so sehen, wie sie war. Einige jedenfalls, die damals den Weg der Drogen einschlugen. Ob Alkohol oder Heroin, das machte letztlich keinen Unterschied. Kaputt machte beides.

Wenn wir uns heute umblicken, dann sind die meisten von uns noch da. Und davon die meisten wiederum nicht besonders glücklich. Der Traum von damals ist irgendwann auf der Strecke geblieben, ausgeträumt; wir sind Realisten geworden. Als solche verbeißen wir uns in unsere Karrieren und sitzen abends an irgendeinem Tresen und versuchen zu vergessen, wie es einmal war.

Und dann gibt es da ein paar, die den Traum nicht einfach aufgeben wollten. Wir haben sie alle gekannt; wir haben sie alle gesehen. Wir haben uns abgewendet, weil wir froh waren, nicht so zu sein wie sie. Unser Überlebenswille war stärker als unsere Alpträume, und sie waren die Schwachen, die sich nicht anpassen wollten oder konnten.

Vielleicht waren unsere Lebensentwürfe ja ähnlich, so wie die Lebensentwürfe der meisten Jugendlichen ähnlich sind: Ein Leben ohne Vorschriften, Glück, Spaß - das sind ja keine Erfindungen der heutigen Zeit. "Happiness is a warm gun" schmeichelten die Beatles auf dem weißen Album, aber für manche von uns reduzierte sich das auf "Heaven is in your mind".

Nicht jeder Lebensentwurf von damals ist aufgegangen; viele von uns finden sich an Orten, von denen sie nie geträumt haben. Aber man arrangiert sich. Und lebt. Im Gegensatz zu den Lebensentwürfen, die ganz oder teilweise gegen die Wand liefen.

Beispielhaft seien hier erwähnt W.B., D.P. und T.K.

W.B. war damals als Schüler mit dabei bei der Rotpunkt-Aktion, bei der aktion 49. Ein scharfer Intellekt, ein neugieriger Geist. Die Veränderung der Welt, das Schaffen einer besseren, einer anderen Gesellschaft war für ihn kein vorübergehender Jugendtraum, sondern eine lebenslange Bestimmung. Als er merkte, dass viele von uns andere Wege gingen, die alten Gruppen auseinanderbrachen, blieb er sich treu. Die damit verbundene Einsamkeit war einer der Gründe dafür, dass der Alkohol zu seinem täglichen Begleiter wurde.

Wir gingen ihm damals aus dem Weg; nur wenige standen zu ihm. Nach Jahren der Abhängigkeit konnte er sich von der Sucht befreien, aber der Körper war bereits ruiniert. Beruflich fasste er wieder Fuß, auch dank der Hilfe eines von uns, der inzwischen einen großen Betrieb in Herford besaß; politisch war er weiterhin gegen den Mainstream aktiv. Der Raubbau, den er seinem Körper zugefügt hatte, blieb nicht ohne Spuren. Er starb vor wenigen Monaten.

D.P. war ein ganz anderer Fall. Kein Gymnasium, kein hoher Intellekt - dafür jede Menge Spaß am Leben. Und eine Szene, bei der Drogen einfach dazu gehörten. Und sie gehörten auch schnell zu ihm. Er konnte einfach nicht ernst sein, was vielleicht auch daran lag, dass er morgens bereits "drauf" war. Keiner Fliegenseele tat er etwas zuleide, und sogar die strengen Polizisten konnte er durch sein Wesen erweichen. Wir haben gern mit ihm gelacht, uns auch hinter seinem Rücken über ihn lustig gemacht. Für eine Anekdote war er immer gut, aber richtig ernst nehmen als Menschen wollten wir ihn nicht.

Nach den Maßstäben dieser Gesellschaft hat er in seinem Leben nie etwas erreicht. Vielleicht nach seinen eigenen auch nicht - wir wissen es nicht. Denn auch er ist ein Opfer seiner Sucht geworden.

T.K. stammte aus einer ehrwürdigen Herforder Familie und brachte die besten Voraussetzungen mit, um Karriere zu machen. Vielleicht war es gerade das, was ihn davon abhielt. Ständig hatte er verrückte Ideen und Theorien im Kopf, fehlte auf keiner Party, und je extremer es dort zuging, desto besser gefiel es ihm. Er probierte alles aus: Alkohol, psychedelische Drogen, Opiate. Er konnte böse und gemein sein, und manche hatten etwas Angst vor ihm, weil er auch finster aussah.

Als die Zeiten der großen Happenings und Feste vorbei waren, zog er sich aufs Land zurück. Mit ihm wohnten wechselnde Frauen, die ihn ernährten und immer wieder verließen, weil er nicht zu ertragen war. Er war herrisch und angeberisch, verrückt und lustig. Und er hasste sich selbst. Aber seinen Lebensstil änderte er nicht. Andere mochten sich Haare und Bart abschneiden; er ließ beides wachsen. Sein Gehirn verrottete unter dem regelmäßigen Genuss von Drogen und Alkohol; sein Körper ebenfalls. Mit 50 Jahren fiel ihm noch einmal ein kleines Geldvermögen zu, das er zügig ausgab. Auf einer Reise in die Sonne, die er sich davon gegönnt hatte, blieb sein Herz stehen.

Die Liste ließe sich fortsetzen über die drei hier Genannten hinaus. Sie waren Teil des Herforder Aufbruchs zwischen 1965 und 1975, konnten aber die Wunden nicht überwinden, die sie sich in dieser Zeit zugefügt hatten oder die ihnen zugefügt worden waren.

I close my eyes and count to ten, and when I open them....... you're still there.

 



 

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Weizenfeld