Der Jaguar Club in der Herforder Scala

 

 
1. Beginn einer neuen Jugendkultur

Populäre Musik war schon immer in den Anfängen ihrer jeweiligen Stilrichtung ein Stück Gegenkultur, insbesondere die Rock- oder Beatmusik Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts verstand sich Beatmusik als Lebensstil gegen die Enge der vorgefundenen Welt, gegen Autoritäten, die sich durch nichts zu rechtfertigen schienen als durch die Starrheit der vorhandenen Verhältnisse: in der Familie, den Schulen, Universitäten, den Betrieben, der Politik, Kultur und im gesamten Alltag. Die herrschende Arbeitsethik, die bedingungslose Unterwerfung unter die vorherrschenden Normen der von den Vätern, die eine ungeklärte Beziehung zum Nationalsozialismus hatten, in dieser Zeit dominierten Familie, die von der heranwachsenden Generation empfundene Willkür und der "Muff von tausend Jahren" in Schule und Hochschule wurden als bedrückend und einschränkend erlebt. Die Institutionen von Erziehung und Bildung hatte keine Glaubwürdigkeit mehr, unterbanden jegliches Mitspracherecht. Jugendkultur bestand in der Unterwerfung unter die Regeln und Standards dessen, was der Jugend von den Erwachsenen zugestanden wurde: ein Leitfaden durch jugendliche Lebenswelten, von den Erwachsenen entworfen.

Gegen diese Vorgaben entwickelten die Jugendlichen weltweit eigene Lebensentwürfe. In den 50er Jahren gab es erste Proteste gegen die offizielle Kultur durch den aus Amerika importierten Rock ´n Roll von Elvis Presley, Bill Haley, Chuck Berry, Little Richard und bei jugendlichen Gangs wie Rockern und Teddy Boys, die sich Prügeleien mit anderen Gangs und der Polizei lieferten. Es folgte die Beatmusik mit Beginn der 60er Jahre, die den Protesten der Jugendlichen gegen die vorhandene Kultur ein Fundament verlieh. Vom täglichen Kampf um die Kleiderordnung, die Haartracht und Umgangsformen bis hin zur Sexualität - alles war ein Aufbegehren gegen das Alte. Kleidung und Äußeres, Umgangsformen und Musik haben für Jugendliche einen je höheren Wert, desto konfliktreicher und provozierender ihre Präsentation vor allem auf die ältere Generation wirkt. Die Twiggy-Mode der 60er Jahre, die Protest gegen die Wirtschaftswunder-Gesellschaft war, die Hippie-Mode Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre, richteten sich symbolisch gegen die Erwachsenenwelt. Man wollte jugendlich bleiben. Die Hippie-Mode mit ihrem Second-Hand-Style wandte sich gegen die Spießermode der Erwachsenenwelt und stellte bewusst Bedürftigkeit, Armut gegen die künstliche Welt der Wohlstandsgesellschaft.

Hier klangen erste Protestakte gegen die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt, erste ökologische Gedanken und Ansätze von Konsumverweigerung an. Die Kleidung konnte zerrissen und schmutzig wirken. Es war alles nur Natur gegenüber der wahrgenommenen Umweltverschmutzung durch die Industrie. Plastik bzw. Kunststoff hatte sich mittlerweile für zahlreiche Alltagsgegenstände wie Möbel und als Verpackungsmaterial für Lebensmittel durchgesetzt. Joghurt, bis 1963 nur in Pfandglasflaschen zu kaufen, wurde in Kunststoffbechern angeboten. Ebenso Margarine, Butter, Milch, Suppen in Tüten, Kaffee und viele andere Lebensmittel. Mit dem Plastik kamen die Einwegverpackung und der Anstieg der Müllberge, die schnelle Küche und die Konservierung und Kontaminierung der Lebensmittel. Selbstbedienungsläden enthielten alles, was das Herz begehrte, in der neuen Kunststoffverpackung. Die Mode der Jugendlichen kam nach einer Überschwemmung durch Kunststofffasern mit Beginn der 60er Jahre wieder auf Naturfasern zurück. Man trug Schlaghosen und Jeans. Auch Mädchen trugen Hosen, ließen die BHs im Kleiderschrank und gaben sich natürlich. Hier gab es schon die Anfänge der Mode der 70er Jahre, die sich rund (Schuhe), farbig (orange-lila) und blumig zeigte.

In den 60er Jahren tanzte man noch Twist und Beat oder Klammer-Blues, Tänze zu den Rhythmen der neuen Musik, die von den Erwachsenen als Negermusik, geschmacklos und sexuell obszön bezeichnet wurden. Tänze, die ohne geregelte Tanzschritte auskamen, wie auch das Leben ohne feste Regeln gelebt werden wollte. Mit den Jugendzeitschriften wie "Bravo" und "Twen" und den Aufklärungsfilmen von Oswald Kolle ("Wunder der Liebe") wurde das Thema Sexualität auch von den Medien diskutiert. Die Pille und die Abtreibung waren besonders aufgeladene Konfliktthemen. Die Haare wurden länger, gerieten "außer Kontrolle", wie so mancher Disput zwischen Eltern und Jugendlichen über das Thema Haare und Kleidung. In dieser Zeit waren es weniger die politischen Helden, die erst ein bis zwei Jahre später auftraten, sondern die Helden der Musik, die Vorbilder für die Jugendlichen waren.

Die Beatles, Rolling Stones, Bob Dylan, The Who, Jimi Hendrix - die beiden Letzteren spielten neben zahlreichen anderen Bands seit Mitte der 60er Jahre auch im Jaguar Club - waren so etwas wie ein Aufschrei gegen das Establishment, in das sich die Jugendlichen nicht einfügen wollten. Diese Musik stand für eine neue Rhythmik, für eine Lautstärke, die den Protest auch laut heraus schrie, auch für Energie und jugendlichen Überschwang. Die Songs der Bands transportierten einen englischsprachigen Internationalismus. Ihre Texte waren einfach, respektlos, predigten Widerstand, Liebe und Sexualität und enthielten ganz persönliche Botschaften, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren konnten. Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass die bis Mitte der 60er Jahre noch in Anzügen auftretenden Beatles der Horror der meisten Eltern waren.