Die aktion 49 in Herford und die Schülerzeitung KAPUTT (4)

 

 

 
4. Das Ende

Die aktion 49 richtete Arbeitsgruppen zu Themen wie Schule, Systemanalyse, Sexualität und Gesellschaft ein. Der ursprünglich aus 10 Personen bestehende Kern mit weiteren 30 Personen, die sporadisch mitarbeiteten, erweiterte sich. Der Kreis der Sympathisanten wuchs. Ebenso die Akzeptanz von KAPUTT unter den Schülern. Daran änderte sich auch nichts, als eine Gruppe konservativer Schüler eine Gegenzeitung mit dem Titel "Der Schwamm" herausbrachte - das Blatt erlebte nur eine Ausgabe.

Die Kritik am Schulsystem und der Schule als Dressuranstalt wurde immer detaillierter, ebenso die Kritik an der Bundeswehr und dem Wehrdienst. Kriegsdienstverweigerer wurden unterstützt. Flugblätter und Broschüren klärten und forderten auf: "Verweigert den Kriegsdienst". Der Protest gegen Rechts gipfelte 1969 in einer Kampagne gegen eine NPD-Kundgebung anlässlich der Gemeinde- und Kreistagswahlen im Bünder Stadtgarten. Redner war Adolf von Thadden, der damalige Vorsitzende der NPD. Die Demonstranten beklagten sich, dass von Thadden ungestraft zu Selbstjustiz und Minderheitenverfolgung aufrufen konnte, während sie von den NPD-Ordnern, zum Teil verprügelt, an die wartende Polizei weiter gereicht wurden und auf Ermittlungsverfahren warteten.
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Die aktion 49 beteiligte sich an Diskussionen zur sexuellen Befreiung, stellte Modelle antiautoritärer Erziehung wie die Berliner Kinderläden vor. Zu den bestehenden Arbeitsgruppen, die in KAPUTT erste Berichte ihrer Arbeit vorstellten, wie die AG Sexualität und Gesellschaft, kamen neue hinzu wie die AG Ökonomie und die Projektgruppe Lehrlinge. Die Reihe der Unterrichtsanalysen wurde auf das Fach Deutsch ausgedehnt. Sie schloss mit einem Manifest für einen neuen Deutschunterricht.

In den jeweiligen Arbeitsgruppen wurde viel gelesen und diskutiert. Neben den Werken von Marx waren es vor allem Freud, Marcuse, Adorno, Wilhelm Reich und Reimut Reiche mit seiner Verbindung von Marxismus und Freudianismus. Die Buchhandlung Jackmann war damals der bevorzugte Buchladen der politisch Aktiven, fanden sie doch in Inhaber Artur Jackmann einen älteren Menschen, der sie akzeptierte und ermutigte.

Obwohl man auch gern einmal feierte, gingen die Mitglieder der aktion 49 ausgesprochen ernsthaft an ihre selbst gestellten Aufgaben heran. Politik wurde nicht als etwas vom Alltag Getrenntes betrachtet, sondern als durchgängiger Faden; das Private war politisch und musste umfassend reflektiert und diskutiert werden. Schließlich ging es darum, die Welt zu verstehen, um sie anschließend zu verändern. In den Diskussionsgruppen wurde heftig miteinander gestritten; Spaß war selten oder gar nicht zugelassen.

Trotz der völligen Harmlosigkeit der Herforder Akteure erfreuten sie sich doch der jahrelangen Aufmerksamkeit der Politischen Polizei, sei es nun in Bielefeld oder Herford. Regelmäßige Vorladungen führten fast zu einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Beamten des 14 Kommissariats und einzelnen Mitgliedern der aktion 49. Die staatlichen Beobachter gaben sich als Sympathisanten der "guten Sache" aus, denen es angeblich nur darum ging, "böswillige Elemente" auszuschalten, die ja auch der "gemeinsamen Sache" nur schaden würden.

Regelmäßige Vorladungen gab es zum Beispiel vor oder nach Reisen von aktion 49-Mitgliedern in die DDR, die auf Einladungen des FDGB stattfanden. Natürlich versuchte man in der DDR auszuloten, ob man die jungen Leute aus dem Westen engagieren oder in die DKP hineinziehen konnte; die undogmatische Einstellung der Gäste aus dem Westen überzeugte die Stasi-Begleiter in der DDR allerdings schnell davon, dass hier nicht viel zu holen war. Die westdeutsche Polizei sah das offenbar anders.

Nahezu alle öffentlichen Aktionen der Aktiven wurden beobachtet und fotografiert. Gerd Ruebenstrunk erinnert sich:

"Einmal erhielt ich eine Vorladung, weil ich am sogenannten "Hexensabbat" in Lübbecke teilgenommen hatte. Es war eine Zusammenkunft aller möglichen alternativen Fraktionen aus Ostwestfalen; als Höhepunkt wurde Thomas Kissler nackt auf ein großes Holzkreuz gebunden, das wird dann durch die Menge in der Innenstadt trugen. Es war nichts als ein großer Spaß. Die Polizei hatte alles fotografiert; man zeigte mir die Fotos und wollte wissen, wer einzelne der Leute auf den Bildern waren. Ich täuschte natürlich Unwissenheit vor und wurde mit der Mahnung entlassen, etwas vorsichtiger in der Wahl meiner Gesellschaft zu sein."

Neben solchen mehr harmlosen Begegnungen gab es aber auch Drohungen mit möglichen Konsequenzen, eine völlige Unverhältnismäßigkeit der Mittel im Umgang mit ein paar engagierten jungen Leuten, die deren Misstrauen gegen die repressive Gesellschaft eher schürte.

Mit der Zersplitterung der Außerparlamentarischen Opposition in die zahllosen Gruppierungen auf Basis der verschiedenen ideologischen Systeme des Maoismus löste sich die aktion 49 Ende des Jahres 1969 auf. Viele ihrer Akteure studierten in anderen Städten und schlossen sich dort lokalen Bewegungen an. Eine letzte Aktion in Herford war die Beteiligung an der "Rot-Punkt-Aktion" im April des Jahres 1970, die gemeinsam mit anderen Organisationen erfolgreich abgeschlossen wurde. Die geplanten drastischen Fahrpreiserhöhungen des EMR für den Personennahverkehr wurden zurück genommen.

Ein letzter Versuch, 1971 mit der Zeitung "Rotlicht" ein Nachfolgeprojekt für KAPUTT zu etablieren, misslang. Linke Politik war in Herford zu diesem Zeitpunkt bereits fast nur noch organisiert möglich, ob in der DKP, der KPD/ML (Roter Morgen), dem KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands) und wie die Grüppchen alle hießen. Die Aufbruchsstimmung der Jahre 1968 und 1969 war verflogen; die ideologische Zementierung setzte ein. Und damit hatte auch die undogmatische freie Diskussion ein Ende, die viele Herforder Jugendliche damals für ihr Leben (oder einen großen Teil davon) inspirierte.

 







 

Abreise in die DDR